02.06.2020: Rede des Botschafters Luigi Mattiolo zum 74. Feiertag der Italienischen Republik
Liebe Freunde,
am heutigen Tag, dem 2. Juni, begehen wir erneut den Nationalfeiertag der Italienischen Republik.
Es wäre mir eine Freude gewesen, ihn wie in der Vergangenheit mit einem Empfang in unserer Botschaft zu feiern.
Leider kämpfen wir immer noch mit einer schrecklichen Epidemie. Wir müssen weiterhin vorsichtig sein. Daher können wir uns nicht persönlich treffen, sondern nur virtuell.
In diesem Augenblick sind meine Gedanken bei den vielen Opfern der Pandemie und ihren Familien in Italien, Europa und der Welt.
In den letzten Wochen haben unser Land und ich selbst großartige Gesten der Solidarität und bewegende Zeichen der Verbundenheit von Deutschland, seiner Bevölkerung, den Behörden des Bundes und der Länder, den Bundestagsabgeordneten und der Zivilgesellschaft erlebt.
Die Verlegung zahlreicher italienischer Patienten nach Deutschland, die der Behandlung deutscher Ärzte und Pfleger anvertraut wurden, war ein außerordentliches Beispiel europäischer Solidarität, das wir nie vergessen werden.
Die Pandemie hat unser Leben, unsere Gewohnheiten, unsere Arbeit grundlegend erschüttert. Sie forderte von uns Entscheidungen und Opfer, auf die wir nicht vorbereitet waren.
Ich denke jedoch, dass sie unter verschiedenen, individuellen und kollektiven Gesichtspunkten auch einen „Moment der Wahrheit“ darstellt.
Die derzeitige Krise ist die schwerste seit dem Zweiten Weltkrieg. Ihre wirtschaftlichen und sozialen Folgen werden noch lange andauern und uns alle ausnahmslos treffen.
Wir sind in Europa durch ein gemeinsames Schicksal miteinander verbunden. Die Pandemie hat dies auf dramatische Weise verdeutlicht.
Ich bin überzeugt, dass wir diesen Kampf nur gewinnen können, wenn wir zusammenhalten.
Die Reaktion Europas muss koordiniert, angemessen und zeitnah erfolgen, wenn sie wirksam sein soll.
Wir müssen uns um die Bedürfnisse jedes europäischen Bürgers genauso kümmern, wie um die Belange unserer Landsleute.
Sonst werden wir eines Tages auch dieses großartige Projekt der europäischen Integration, das seit über 60 Jahren Frieden und Wohlstand für unsere Völker sicherstellt, zu den Opfern der Pandemie zählen müssen.
Das könnten wir uns niemals verzeihen.
In Italien nehmen wir diese ernste Gefahr intensiv wahr. Wir wissen, wie viel von unserem Wohlstand wir der politischen und wirtschaftlichen Integration verdanken, die wir in Europa mit dem Beitrag aller Mitgliedstaaten aufbauen.
Heute stehen die Gegenwart und die Zukunft unseres Kontinents auf dem Spiel.
Die COVID-Krise, die in ihrer Ausdehnung bisher symmetrisch verlief, ist sowohl innerhalb Italiens als auch in Deutschland in der Stärke ihrer Ausprägung asymmetrisch.
Denn sie hat die am stärksten industrialisierten und miteinander vernetzten Regionen unserer beiden Länder härter getroffen.
Deshalb müssen wir alles tun, um unsere Gegenmaßnahmen landesweit symmetrisch zu gestalten.
Notwendig ist, dass alle Länder der Union mit ähnlichen Maßnahmen rechnen können, wie Deutschland sie für seine Bürger ergreifen konnte.
Andernfalls wird es zu einer Fragmentierung des Binnenmarktes und der innereuropäischen Wertschöpfungsketten kommen.
Europa würde damit an den Rand der globalen politischen und wirtschaftlichen Realität gedrängt.
Deutschland ist sich dessen bewusst, und die Zeichen, die ich in diesen Tagen wahrnehme, stimmen mich zuversichtlich.
Entscheidungen, Optionen, wirtschaftliche und finanzielle Instrumente für die Zukunft der Europäischen Union, die bis vor kurzem noch unvorstellbar waren, stehen nun im Mittelpunkt der Debatte.
Darin sehe ich die besten Voraussetzungen dafür, dass Europa – mit dem starken Impuls Deutschlands, das die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen wird – auf diese beispiellose Krise mit Mut, Solidarität und Weitsicht reagieren kann.
Ich bin sicher, dass Italien und Deutschland weiterhin eng miteinander und mit den anderen Partnern kooperieren werden, damit die Europäische Union gesünder, stärker und geeinter als zuvor aus der Krise hervorgeht.
Die Kraft dafür ziehen wir aus den tiefen Banden der Freundschaft und Solidarität, die uns unauflöslich miteinander verbinden.
Dafür müssen wir auch Mut haben. Dieser erwächst aus dem Bewusstsein, dass die Stärkung der Rolle und Souveränität Europas in der Welt die richtige Entscheidung ist.
Die Freundschaft zwischen unseren beiden Völkern ergibt sich auch aus dem Vorbild, dem Engagement und der Anstrengung vieler Italiener, die hier in Deutschland leben, arbeiten und ihre Kinder großziehen.
Die Italiener in Deutschland haben sich der Pandemiekrise mit großem Mut gestellt und oft unter ihren schweren Folgen gelitten.
Die Botschaft und die Konsulate in Deutschland sind – heute mehr denn je – entschlossen, auf ihre Bedürfnisse und Wünsche einzugehen.
Daher richte ich einen ganz besonderen Gruß an meine Landsleute in Deutschland und spreche ihnen für die Zukunft von ganzem Herzen Mut zu.
Liebe Freunde,
ich danke Ihnen für Ihre Unterstützung und Hilfe in meiner diplomatischen Mission.
Meine größte Hoffnung ist, dass ich Sie bald wieder in der Italienischen Botschaft in Berlin begrüßen kann.
Es lebe Italien, es lebe Deutschland, es lebe Europa!
Berlin, 2. Juni 2020